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| Von Judith Bauer; Interview: Verena Breitbach

Zusammenhang von Organisationskultur und Quartiersöffnung in der stationären Altenhilfe

GALINDA-Projekt (Gut Altwerden in Rheinland-Pfalz) abgeschlossen

Anfang Juni 2020 wurde der Endbericht des vom Land RLP geförderten Forschungsprojekts der Pflegewissenschaftlichen Fakultät der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar (PTHV) „Gut alt werden in Rheinland-Pfalz“ (GALINDA) beim Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie eingereicht. Gegenstand dieser über drei Jahre durchgeführten Studie war der Zusammenhang von Organisationskultur und Quartiersöffnung in der stationären Altenhilfe. Beteiligt an dem Projekt waren unter anderem Prof. Dr. Hermann Brandenburg (Lehrstuhl Gerontologische Pflege, PTHV) sowie die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der PTHV: Judith Bauer, Bernadette Ohnesorge, Christian Grebe, Thomas Rittershaus. Das Projekt GALINDA bestand aus einer qualitativen Erhebung und einer standardisierten Online-Befragung der Einrichtungsleitungen der Heime in Rheinland-Pfalz. Im qualitativen Teil der Studie wurden 67 Interviews und mehrere Beobachtungen in drei Pflegeeinrichtungen realisiert.

Medizinisch-pflegerische Angebote in hohem Maße gewährleistet

Bei der landesweit durchgeführten standardisierten Befragung der Einrichtungsleitungen aller Heime in Rheinland-Pfalz lag der Rücklauf bei 149 Einrichtungen von insgesamt 428 Heimen. Es wurde deutlich, dass die medizinisch-pflegerischen Angebote (auch im Hinblick auf die fachärztliche Versorgung) in den meisten Einrichtungen in hohem Maße gewährleistet sind. Allerdings klafft speziell bei Angeboten im Quartier, die sich explizit an Quartiersbewohner (und nicht an Heimbewohner) richten, eine Lücke zwischen dem, was man für wichtig hält und dem, was tatsächlich im Moment realisiert werden kann.

Bedeutsam für eine Öffnung sind die Kooperationen mit verschiedenen Akteuren im Quartier

Bei den qualitativen Daten wurde herausgearbeitet, dass die in GALINDA untersuchten drei Standorte durch sehr verschiedene Organisationskulturen gekennzeichnet sind. Eine Herausforderung besteht insbesondere im Hinblick auf das Verhältnis von Altenhilfe und Behindertenhilfe, die aus verschiedenen Traditionen kommen. Es zeigte sich, dass eine grundlegende konzeptionelle Ausgestaltung einer Öffnung nur in wenigen Einrichtungen zu finden ist, die Behindertenhilfe ist hier der Altenpflege voraus. Auch war das Verständnis von Öffnung und Quartiersentwicklung sehr heterogen zwischen den Einrichtungen und auch innerhalb verschiedener Professionen. Als bedeutsam für eine Öffnung sind die Kooperationen mit verschiedenen Akteuren im Quartier einzuschätzen. Diese waren in allen Standorten von Kontinuität geprägt und bestanden meist schon über einen sehr langen Zeitraum. Zu beachten ist auch die Vulnerabilität der Bewohnerschaft. Mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass die Zunahme von hochgradig multimorbiden Bewohnerinnen und Bewohnern die Partizipation an Aktivitäten im Sinne einer Öffnung erheblich erschwert. Auch im Bereich einer möglichen Unterstützung der Kommune zeigte sich an allen Standorten noch Entwicklungsbedarf.

Ergänzung: Interview mit Prof. Dr. Hermann Brandenburg (Projektleiter, Lehrstuhl für Gerontologische Pflege, PTHV) und Judith Bauer (wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt GALINDA, PTHV)

1. Wie kann gutes Altern in RLP gelingen? Dies war die Forschungsfrage des aktuell an der PTHV abgeschlossenen Forschungsprojektes GALINDA. Wie definieren Sie in dem Projekt gutes Altern?

Prof. Brandenburg: Gutes Altern ist etwas, was wir uns alle wünschen. Interessanterweise wollen wir alle alt werden – aber alt sein möchte niemand! Das hängt damit zusammen, dass wir Altern häufig mit Gebrechlichkeit gleichsetzen. Wir wissen aber, dass die überwiegende Mehrheit der alten Menschen nicht pflegebedürftig ist, auch bis ins hohe Lebensalter unabhängig von der Hilfe anderer lebt. Aber das kann nur gelingen, wenn das Altern in eine sorgende Gemeinschaft eingebunden ist. Und aus diesem Grunde wird in RLP – aber nicht nur dort – ein breites Netz an Unterstützungsmöglichkeiten für alt werdende Menschen angeboten. Konkret auf die GALINDA-Studie bezogen ging es um den Zusammenhang zwischen der Organisationskultur in den Heimen und ihrer Öffnung hin zum Quartier. Wir sehen in dieser Entwicklung eine Möglichkeit, dass auch ältere Menschen mit Einschränkungen – sowohl im Heim wie auch außerhalb – an einer Sorgekultur partizipieren, für die vor allem die Kommunen, die Zivilgesellschaft, die zentralen Akteure im öffentlichen Raum zuständig sind. Seit Anfang der 1980er Jahre bereits sprechen wir über die „Öffnung der Heime“. Da ist einiges geschehen, aber auch noch viel Luft nach oben. Die Corona-Krise darf diese positive Entwicklung keinesfalls stoppen oder wieder rückgängig machen.”

2. Wie ist man in der Studie methodisch vorgegangen? Was waren die zentralen Ergebnisse?

Judith Bauer: In der Studie wurde eine standardisierte Onlinebefragung der Einrichtungsleitungen von Pflegeheimen in Rheinland-Pfalz durchgeführt, die statistisch ausgewertet wurde. Ergebnisse der Befragung finden sie hier im Endbericht. Außerdem wurden in drei ausgewählten Pflegeeinrichtungen Interviews geführt. Interviewt wurden die Einrichtungsleitungen, Mitarbeiter/innen der Einrichtungen und in zwei Einrichtungen auch Bewohner/innen. Außerdem befragt wurden mit den Einrichtungen kooperierende Institutionen. Ein zentrales Ergebnis war, dass es kein allgemeines Konzept für eine gelungene Quartiersöffnung geben kann, denn in allen Einrichtungen herrschen unterschiedliche Vorstellungen und Gegebenheiten.

In der Studie ging es außerdem um fördernde Bedingungen im Bezug auf eine Öffnung. Hier wurde beispielsweise die zentrale Lage der Einrichtung hervorgehoben, welche den Heimbewohner/innen ermöglichte, auf kurzen Wegen ins Quartier zu gehen oder den Quartiersbewohner/innen den Besuch in der Einrichtung vereinfachte. Zusätzlich wurden Netzwerke, wie vor allem die langjährige Verankerung in örtlichen Vereinsstrukturen genannt. Vor diesem Hintergrund wurde an einem Standort ein Förderverein für das Pflegeheim eingerichtet, der vielfältige Aktivitäten finanziell unterstützte. Als weiterer Aspekt wurde die Wichtigkeit einer finanziellen Förderung der Personalstelle im Quartiersmanagement betont. Dies vereinfachte in zwei Einrichtungen die Quartiersentwicklung, denn ehrenamtliche Arbeit gerät hier an Grenzen. In einer Einrichtung wurde der Bezug der Bewohner/innen zur Einrichtung als förderlich beschrieben, denn viele Heimbewohner/innen, aber auch Quartiersbewohner/innen, kamen aus dem Umkreis und kannten die Einrichtung sehr gut, da es sich um ehemaliges Krankenhaus handelte.

Als hemmender Faktor für eine Öffnung wurde eine Art Schwellenangst der Bevölkerung bei Pflegeheimen thematisiert, die es verhinderte, dass viele Personen zu offenen Veranstaltungen in ein Pflegeheim kamen. Außerdem benannt wurden externe Vorgaben bei offenen Veranstaltungen, die als Hindernis bei Aktivitäten von Öffnung wahrgenommen wurden. Beispielsweise ging es hier um Aspekte wie z.B. die Anmeldung der Veranstaltungen, Bezahlung von Künstlern, Datenschutz, aber auch Hygienerichtlinien. Auf einer personalen Ebene nannte man bei allen Standorten, dass die verschiedenen Arbeitsfelder der Pflege und der Betreuung nicht immer im Sinne eine Öffnung aufeinander abgestimmt waren. Vor allem seitens der Pflegekräfte wurde – nicht zuletzt aus Zeitdruck und/oder Arbeitsbelastung – den Öffnungsaktivitäten nicht immer jene Priorität eingeräumt, die als notwendig angesehen wurde. Als hemmender Faktor in Bezug auf eine Öffnung wurde auch eine Veränderung der ehrenamtlichen Strukturen angesprochen. Während in früheren Zeiten eine hohe Verbindlichkeit der ehrenamtlichen Klientel vorhanden gewesen sei, so habe heutzutage die Bindung der entsprechenden Personen an die Einrichtung abgenommen, überwiegend seien Student/innen involviert. Ebenfalls wurde der schlechte physische und psychische Zustand der Bewohner/innen der Einrichtung als Hemmnis einer Öffnung beschrieben. Der Allgemeinzustand ließe es bei einem Großteil der Bewohner/innen nicht zu, dass diese bei Ausflügen ins Quartier oder ähnlichen Aktivitäten beteiligt würden.

3. Was bedeuten die Ergebnisse – für die Praxis, für die Kommunen, für die Politik?

Prof. Brandenburg: Ich schließe an die oben gemachten Ausführungen an. Und in der Tat haben wir festgestellt, dass sehr unterschiedliche Verständnisse und Konzeptionen im Hinblick auf eine Öffnung der Heime bestehen. Auch die Frage der Verantwortlichkeit wird – positiv formuliert – differenziert betrachtet. Meine Einschätzung ist die, dass es zunächst einmal Aufgabe der Heime selbst ist, sich um das Thema zu bemühen. Hier geht es vor allem um ein neues Aufgaben- und Kompetenzprofil für die Pflege. Deren Spektrum ist breiter als „nur“ Stationsarbeit, der Blick ins Quartier gehört für eine gute Pflege dazu. Aber der gelingt nur, wenn eine Unterstützungskultur in der Kommune etabliert wird, die Bürgermeister und die Verwaltungen (aber auch die politischen und religiösen Gemeinden) haben hier eine ganz wichtige Funktion. Und es wird nicht gehen ohne die Netzwerke, die im kommunalen Raum schon lange existieren. Und schließlich ist die Politik gefordert, vor allem auch die Landespolitik. Sie muss einen rechtlichen und finanziellen Rahmen für das Quartiersmanagement garantieren, denn ohne klare Verantwortlichkeiten wird es keine nachhaltige Entwicklung geben. Es geht also um den Aufbau einer Unterstützungskultur im öffentlichen Raum. Durch Corona haben wir gelernt wie wichtig das ist.

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